Möge der Herr seine Engel um Dich stellen. (Seite 12)

Cover: Die ApfelpflückerinZum Inhalt

Die junge Witwe Eliza kennt nach dem Tod ihres Schwiegervaters nur ein Ziel: Allein kämpft sie um die Rettung der Obstplantage, die seit Jahrzehnten das Ein und Alles der Familie ihres Mannes war. Schnell wird der Mutter von drei kleinen Kindern klar, daß dieses Vorhaben nur gelingen kann, wenn Gott einen Engel schickt, wie die verrückte Tante Gracie meint.
Tatsächlich steht bald ein geheimnisvoller Fremder vor Elizas Tür. Ist er wirklich der erhoffte Gottesbote, oder hegt er finstere Absichten? Immerhin scheint er nicht der zu sein, der er zu sein vorgibt. Doch wer ist das schon?
Eliza ist selbst gefangen in einem Netz aus Lügen über ihre Herkunft, und auch in der Familie ihres Mannes schlummert mehr als ein dunkles Geheimnis. Nur langsam fügen sich die Bruchstücke der Vergangenheit zu einem Gesamtbild zusammen.
Wird Eliza letztlich alles verlieren, was ihr lieb und teuer ist, oder gewinnt sie sogar mehr, als sie je zu träumen wagte?

 

 

Kommentar / Meine Meinung

Ein Buch wie das volle Menschenleben. Ich habe gelacht und geweint, geliebt und gehaßt, gelitten und mich gefreut. Für vierhundert Seiten habe ich meine Welt verlassen und war tief eingetaucht in jene von Eliza, Gabe, Tante Crazy und wie sie alle hießen. Mit einem lachenden und einem weinenden Auge habe ich das Buch schließlich in tiefer innerer Ruhe und dem Bewußtsein zugeschlagen, eines meiner Jahreshighlights gelesen zu haben.

Durchzogen von einer leisen Melancholie, ist das Buch voller (Lebens-)Freude und Hoffnung. Was wie ein Gegensatz erscheint, ist hier in einer einmaligen Synthese vereint. Wie mich das Buch auch etliche Male überrascht hat.

Das fängt bei der Übersetzung an. Zu keinem Zeitpunkt hatte ich das Gefühl, eine Übertragung aus dem Amerikanischen zu lesen, nie das Bedürfnis zu wissen, wie es denn im Original heißt. Es ist, als ob das Buch ursprünglich auf Deutsch geschrieben wurde. Die Übersetzerin Dorothee Dziewas hat ausgezeichnete Arbeit geleistet.

Die Autorin schreibt in einer wundervollen Sprache und hat mich immer wieder auch durch ihre Vergleiche überrascht. Ein paar Beispiele dafür seien zitiert:

Zusätzlich zu meiner Sorge darum, daß Mr Harfner sterben könnte, erschien es mir, als hätte ich mehr Sorgen als Hiobs Frau. (Seite 42)
Vermutlich hatte ich einfach vergessen, wie es war, einen Tag zu verleben, ohne über Schwierigkeiten zu stolpern. (Seite 59)
Obwohl Frank höflich und wohlerzogen war, taute er nie so weit auf, daß die Eiskrem in Gefahr gewesen wäre zu schmelzen. (Seite 122)
Sie sind alle vertrocknet, Lydia, wie Blüten nach dem Frost. (Seite 145)
Tante Crazys Geschichten hatten mehr Löcher als Schweizer Käse. (Seite 166)
Manche der schönsten Menschen der Welt haben ein Herz, das schlimmer stinkt als Elefantenkot. (Seite 350)

Große Teile des Buches sind in Ich-Form geschrieben. Mich hat das nicht gestört, wurde dadurch doch eine recht große Nähe, ein Einbeziehen des Lesers in die Handlung, geschaffen; als ob man am Tisch sitzt und die Geschichte direkt von den Betroffenen erzählt bekommt. Das Buch ist sehr gut und flüssig lesbar, ich konnte mir alles plastisch vorstellen und war während des Lesens weit weg von jeder mich umgebenden Realität.

Das Wort „Familiengeschichte“ wirkt auf mich eigentlich eher abstoßend denn anziehend. Doch wenn das so erzählt wird, wie hier von Lynn Austin, dann will ich noch viele solcher Geschichten lesen. Normalerweise mag ich nicht, wenn in Büchern zu viel Realität auftaucht. Die habe ich schon im täglichen Leben mehr als genug. Hier ist einer der ganz wenigen Fälle, in denen mich das Auftauchen der Realität eben nicht gestört oder abgeschreckt hat.

Sowohl der Originalverlag (Bethanyhouse) als auch der deutsche sind christliche Verlage. Es war mir daher bewußt, daß es sich um einen christlich geprägten Roman handelt. Nicht bewußt war mir, daß ich eine durchaus differenzierte Darstellung des (gelebten) christlichen Glaubens vorfinden würde. Daß die „gute“ wie die „böse“ Seite gleichermaßen auftauchen und teilweise hart aufeinanderprallen. Daß fundamentalistische Auswüchse, um mich mal vorsichtig auszudrücken, so deutlich und durchaus ablehnend angesprochen und dargestellt werden wie hier im Buch geschehen.

Selten habe ich auf eine Romanfigur solchen (unchristlichen) Haß entwickelt wie auf diesen Frank Wyatt, der die Bibel benutzt, um andere u quälen und zu tyrannisieren. Der Glaube spielt auf die eine oder andere Art immer wieder eine Rolle. Dabei erschien es mir nie aufgesetzt oder oberlehrerhaft, sondern so gut in die Geschichte verwoben, daß es einfach so gehörte. Es wird deutlich, daß es der Autorin darum geht, wirkliche christliche und menschliche Werte sowie ein Gefühl dafür, was "Familie" bedeutet (oder besser bedeuten kann) zu vermitteln.

Die Protagonisten haben für mich in sich stimmig und glaubwürdig gehandelt. Das gilt für Tante Crazy (!), wenn sie über ihre Ansichten über Gott und das Leben sprach genauso wie für Frank Wyatt, wenn er aus der Bibel ableitete, seine Frau und seine Kinder aufs Schwerste zu züchtigen.

Ein paar Mal schlucken mußte ich, als Eliza schließlich ihre Geschichte erzählte. Mama, die immer krank war und ihre Medizin brauchte. Was für eine „Medizin“ das war, wird dem Leser schnell klar. Doch nicht dem kleinen Kind von damals. Gut beobachtet.

Das Thema Schuld und Sünde, besser sollte ich sagen falsch verstandene Schuld und Sünde, taucht immer wieder auf. Meist ist es Tante Crazy, die sich eine klare und unverstellte Sichtweise bewahrt hat und damit den Anstoß zum richtigen Verständnis und zur Heilung gibt. In den Lebensläufen der Protagonisten kommen auch sehr deutlich die verschiedenen Möglichkeiten, damit umzugehen, zum Vorschein.

Es ist ein komplexes Geflecht von Schicksalen, das die Autorin im Laufe des Buches enthüllt, wie die Einzelteile eines Puzzles vor uns ausbreitet und langsam zusammenfügt, bis alles ein stimmiges Gesamtbild ergibt. In neun Teilen erfahren wir die Geschichte von Eliza und ihrem Mann Sam Wyatt, von Frank und Matthew Wyatt, von Gabe Harfner, von Walter Gibson und Tante Crazy, wie sie genannt wird, die trotz allem weder ihren Lebensmut noch ihren Glauben verloren hat.

Am Ende, wenn dann alles erzählt ist und im Epilog die letzten offenen Enden verknüpft sind, wird klar, daß der Wunsch des Vaters der kleinen Eliza vielleicht doch in Erfüllung gegangen ist, wenn auch ganz anders, als man sich das landläufig so vorstellt.

Möge der Herr seine Engel um Dich stellen. (Seite 12)
 
Mein Fazit

Wie die Teile eines Puzzles fügen sich die Schicksale zu einem Bild zusammen. Die bisweilen tragische, bisweilen schöne Geschichte von Eliza, Gabe und ihren engsten Verwandten. Melancholisch, heiter, tragisch, hoffnungsvoll. Eine Geschichte wie ein Menschenleben. Und über das, was Familie eigentlich sein sollte.

 

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Bibliographische Angaben

Aus dem Amerikanischen von Dorothee Dziewas.
408 Seiten, kartoniert, Verlag der Francke Buchhandlung GmbH, Marburg, 4. Auflage 2009

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